
17. Juli 2025: „Heute muss niemand mehr programmieren lernen. Die Programmiersprache ist menschlich.“ – Mit diesem Satz sorgte Jensen Huang, CEO von NVIDIA, auf dem World Governments Summit 2024 für Aufsehen. Die Aussage befeuert die ohnehin hitzige Debatte: Brauchen wir in einer Welt leistungsfähiger Large Language Models (LLMs) tatsächlich noch traditionelles Coding?
Im Bildungskontext ist die Frage besonders brisant. Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler experimentieren bereits mit ChatGPT & Co., um Ideen, Texte oder gar kleinen Programmcode zu generieren. Doch wo liegen die Grenzen? Und welche Kompetenzen sind erforderlich, um KI als Werkzeug – nicht als Wunderwaffe – einzusetzen?
Warum LLMs überhaupt Code schreiben können
LLMs wie GPT‑4‑o oder Claude 3.5 haben in Milliarden Code‑Zeilen Muster gelernt. Sie übersetzen natürliche Sprache in Programmstrukturen – ähnlich wie Dolmetscher zwischen Deutsch und Englisch. Geben wir also den „Prompt“ „Erstelle eine Web‑App, die …“, erzeugt das Modell HTML, CSS, JavaScript oder Python‑Snippets samt Erklärungen.
Vorteil: Keine komplizierte Syntax – der Einstieg fühlt sich an wie das Formulieren eines Arbeitsauftrags.
Haken: Ohne Verständnis der zugrunde liegenden Logik erkennen wir Fehler oft zu spät.
Quick Win: Eine Gruppeneinteilungs‑App in drei Minuten
Stellen wir uns vor, eine Lehrkraft möchte Schülergruppen zufällig bilden. Ein LLM‑gestützter Workflow könnte so aussehen:
- Prompt formulieren: „Erstelle mir eine einfache Web‑App, bei der ich Namen eingebe und die per Klick Gruppen á 4 Personen ausgibt.“
- Code‑Vorschlag prüfen & kopieren: Das LLM liefert vollständiges HTML/JS – meist sofort lauffähig.
- Testen im Browser: Funktioniert alles? Falls nicht: „Der Button zeigt keine Ausgabe – woran liegt’s?“
- Feinschliff: Farben, Schriftarten, responsive Layout (passt sich automatisch an unterschiedliche Bildschirmgrößen an), weitere Features – alles per natürlicher Sprache nachjustierbar.
Ergebnis: Eine kleine Helfer‑App, ohne eine einzige Zeile „händisch“ zu schreiben.
Benötigte Kompetenzen:
- Klare, präzise Prompts formulieren
- Grundverständnis von Dateien & Hosting (z. B. lokale HTML‑Datei öffnen)
- Testlogik: „Tut die App, was sie soll?“
Wenn’s komplex wird: Der Versetzungsrechner
Ganz anders sieht es bei regelintensiven Szenarien aus. Beispiel: Ein Versetzungsrechner, der anhand der baden‑württembergischen Gymnasial‑Versetzungsordnung entscheidet, ob eine Schülerin versetzt wird. Zwei Herausforderungen gibt es:
- Komplexes Regelwerk: Mehrseitige Paragrafen mit Ausnahmen für Sport, Musik, Kunst, Nachprüfungen …
- Anforderung: 100 % verlässlich, transparent und juristisch nachvollziehbar.
Warum ein LLM hier an Grenzen stößt
LLMs arbeiten probabilistisch; sie „erraten“ die nächste passende Code‑Zeile. Bei mehrdeutigen Formulierungen schleichen sich Fehler ein. Ein Beispiel: Die Anweisung „Runde auf eine Nachkommastelle“ kann unterschiedlich interpretiert werden – soll kaufmännisch gerundet werden (z. B. 1,25 → 1,3) oder abgeschnitten (z. B. 1,29 → 1,2)?
Selbst wenn das Modell alle Regeln korrekt abtippt, braucht es menschliche Kontrolle: Stimmen die Sonderfälle? Wurden Notendurchschnitte richtig gerundet?
In einem Selbstversuch (Claude 3.5 + Prompting) entstand nach mehreren Überarbeitungsschleifen ein funktionsfähiger Prototyp. Die heikelsten Passagen („Versetzung trotz zweier Fünfen, aber nur wenn …“) mussten jedoch von Hand angepasst und mit gezielten Tests überprüft werden.
KI beschleunigt also die Entwicklung, kann aber das regelbasierte Denken (Setzen genauer Regeln und Ausnahmen, die ein System befolgen muss) und das präzise Testen bei komplexen Algorithmen nicht vollständig ersetzen.
Welche Kompetenzen wir wirklich brauchen – Computational Thinking als Schlüssel
Nicht alle müssen programmieren können – aber alle sollten lernen, wie man Probleme so strukturiert, dass sie von Computern gelöst werden können. Anstatt sich auf Syntax und Programmiersprachen zu konzentrieren, braucht es vor allem Computational Thinking: die Fähigkeit, logisch, systematisch und abstrahierend zu denken. Diese Denkweise ist entscheidend für den produktiven Einsatz von LLMs beim Code Prompting – denn nur klar formulierte, logisch aufgebaute Aufgaben führen zu brauchbarem Output.
Der Begriff umfasst vier Teilbereiche:
- Dekomposition: Große Aufgaben in einzelne Schritte gliedern – statt alles auf einmal lösen zu wollen.
- Mustererkennung: Ähnliche Strukturen und Muster (z. B. in Schleifen oder Datenformaten) erkennen und wiederverwenden.
- Abstraktion: Konzentration auf die zentrale Aufgabe – ohne unnötige Infos im Prompt oder Code.
- Algorithmisches Denken: Schritt‑für‑Schritt‑Verständnis wie ein Code funktioniert und ihn kritisch prüfen können.
LLMs nehmen uns zwar syntaktische Hürden ab, nicht aber das Denken in diesen Kategorien. Hinzu kommen domänenspezifisches Wissen und ethische Überlegungen z. B. Datenschutz bei Schülerdaten beachten.
Leitfaden: So nutzen Sie LLMs für Code-Prompting
LLMs können beim Programmieren unterstützen – vorausgesetzt, sie werden gezielt und verantwortungsbewusst eingesetzt. Der folgende Leitfaden zeigt, wie Code-Prompting Schritt für Schritt gelingen kann.
- Problem verstehen – Ziele, Nutzerinnen und Rahmen (rechtlich, fachlich) klären.
- Low‑Stake starten – Mit einfachen Tools wie der Gruppeneinteilung üben.
- Iterieren – Ergebnisse testen, Feedback geben, erneut prompten.
- Transparenz schaffen – Schülerinnen und Schüler Einblick in Code & Logik geben.
- Absicherung – Bei kritischen Anwendungen (Noten, Zeugnisse) zwingend zusätzliche Prüfschritte einplanen oder auf klassische Programmierung umsteigen.
Fazit
Jensen Huangs Vision, dass „jeder Mensch zum Programmierer wird“, trifft einen Nerv: LLMs senken die Einstiegshürde dramatisch. Für viele Alltagsaufgaben reicht gutes Prompting plus etwas technische Neugier völlig aus.
Doch wer verlässliche, regelbasierte Systeme entwickeln will, muss weiterhin denken wie eine Programmiererin – nur eben in menschlicher Sprache.
Möchten Sie KI‑gestütztes Programmieren im Unterricht ausprobieren? Dann freuen wir uns über ihre Kontaktaufnahme.